ERFURT/ILMENAU (dpa-AFX) - Ein bisschen Frieden beim Bündnis Sahra Wagenknecht: Vor ein paar Wochen drohte der geplanten Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD in Thüringen das Aus, nun stimmte die Wagenknecht-Partei dem mühsam ausverhandelten Koalitionsvertrag zu. Die Parteigründerin sprach bei einem Landesparteitag in Ilmenau von einem "guten Kompromiss". Der innerparteiliche Streit scheint offiziell passé. "Wir sind zwei starke Frauen, die inhaltlich so nah beieinander stehen", sagte Thüringens BSW-Chefin Katja Wolf.
Im Jahr der Parteigründung in die Regierung
Was in Sachsen scheiterte, soll in Thüringen und Brandenburg gelingen: Das BSW könnte noch im Jahr der Parteigründung in zwei Landesregierungen einsteigen. Doch es gibt noch Hürden. In Brandenburg könnte es bei der für Mittwoch geplanten Wahl von Dietmar Woidke (SPD) knapp werden. In Thüringen muss die SPD noch zustimmen und bei der Ministerpräsidentenwahl in Erfurt droht Ärger mit der AfD von Rechtsaußen Björn Höcke.
Das Problem: Deutschlands erste Brombeer-Koalition hätte im Parlament in Erfurt keine eigene Mehrheit, die drei Partner kommen auf 44 der 88 Sitze. Zur Linken und zur AfD in der Opposition gäbe es damit ein Patt.
Keine Mehrheit im Parlament in Erfurt
Aus eigener Kraft kann sie Voigt also in den ersten beiden Wahlgängen nicht zum Ministerpräsidenten wählen, weil laut Thüringer Verfassung die absolute Mehrheit - 45 Stimmen - nötig ist. Erst in einem dritten Wahlgang reicht die relative Mehrheit und die Brombeer-Stimmen könnten genügen. Doch ob es dazu kommt, ist ungewiss. Denn bisher ist nicht ausgeschlossen, dass die vom Thüringer Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte AfD die eine fehlende Stimme liefert und damit den Ausschlag für Voigts Wahl schon in den ersten Wahlgängen geben könnte. Höcke ließ alles offen, auch eine eigene Kandidatur: Es sei einerseits "naheliegend, das Voigt einen Konkurrenten bekommt", sagte er kürzlich. Die andere Überlegung sei, "dass man ihn einfach tun lassen sollte" - mit der Perspektive eines Scheiterns.
Die Situation erinnert an Februar 2020, als die AfD einen Scheinkandidaten aufstellte und dann den FDP-Politiker Thomas Kemmerich Ministerpräsidenten von Thüringen wählte. Das Bundesland stürzte damals in eine tiefe Regierungskrise, Kemmerich trat nach drei Tagen zurück. Der Unterschied diesmal ist, dass Voigt im dritten Wahlgang wohl einigermaßen sicher gewählt wäre.
Darauf verwies in Ilmenau auch Wagenknecht. "Also es hängt ja nicht daran, ob die AfD ihn wählen wird", sagte sie. "Selbstverständlich" könne Voigt die Wahl annehmen. "Wir können doch nicht der AfD die Entscheidung darüber geben, ob jemand Ministerpräsident wird. Die Macht an Herrn Höcke auszuliefern, das wäre doch völlig verrückt."
Grummeln in der SPD
Dagegen scheint das Szenario in Teilen der SPD sauer aufzustoßen. Die Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser sagte, alle seien daran interessiert, dass die Brombeer-Koalition ohne AfD-Stimmen funktioniert. "Das ist es ja auch, was man miteinander vereinbart hat." Wenn die Wahl des Ministerpräsidenten nur mit Stimmen der AfD möglich sei, dann würde man diese Vereinbarung nicht erreichen. "Das stellt natürlich die Koalition infrage, insofern gehe ich davon aus, dass man alles dafür tut, Mehrheiten ohne die AfD sicherzustellen."
Die Thüringer Jusos sind ohnehin gegen eine Regierungsbeteiligung der SPD in einer Brombeer-Koalition. Bis Montagmittag läuft noch ein SPD-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag. Es ist unklar, wie der ausgeht. Schon einmal stand die ungewöhnliche Brombeer-Koalition auf der Kippe. Wagenknecht hatte ein Sondierungspapier als Fehler bezeichnet und Nachbesserungen gefordert, das Verhältnis zwischen ihr und Thüringens BSW-Chefin Wolf galt als belastet.
In Ilmenau sendeten beide nun Signale der Versöhnung. Wolf sagte, es habe ein vertrauliches Gespräch der beiden gegeben. Inzwischen sitzt der jungen Partei die Neuwahl des Bundestages im Nacken, die schon im Februar und nicht wie ursprünglich geplant im Herbst stattfinden soll.
Linke könnte für Mehrheit sorgen
Wagenknechts Segen hat Deutschlands erste Brombeer-Koalition nun. Doch steht auch die SPD zu dem Bündnis? Die Thüringer Jusos-Vorsitzende Melissa Butt machte klar: Sollte die AfD Voigt im ersten Wahlgang die entscheidende Stimme geben, "dann erwarte ich von ihm, dass er die Wahl nicht annimmt". Sollte er das dennoch tun, "sehe ich keine Grundlage dafür, dass eine SPD an dieser Regierung beteiligt werden kann".
Gibt es einen Ausweg? Auch die Linke könnte die fehlende Stimme für Voigt im ersten oder zweiten Wahlgang liefern. Die Partei des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow fordert aber eine schriftliche Vereinbarung mit der Brombeer-Koalition, wie im Thüringer Landtag künftig Mehrheiten gebildet werden sollen. Die CDU lehnt dies bislang ab, weil ihr ein Unvereinbarkeitsbeschluss eine Zusammenarbeit mit der Linken verbietet.
Kaiser sagte, sie rechne damit, dass sich die angepeilte Brombeer-Koalition absichern werde, "dass die Mehrheiten stehen". Sie verwies auf laufende Gespräche mit der Linkspartei. "Die Verantwortung dafür, dass das auch funktioniert, liegt bei Mario Voigt selber."/htz/DP/he